Meine Charaktere: Ardis

“Um Charaktere zu schaffen, zerbrich dein Wesen in tausend Facetten und gib jeder davon einen Namen.”

Meine Charaktere sind auf sehr unterschiedliche Weisen entstanden und doch beschäftigt mich dieses Zitat immer wieder. Und in Ardis Fall ist es sicherlich wahr.

Ich habe sie als Charakter für ein Rollenspiel in einem Fantasy-Setting entworfen und ihr nur einen groben Rahmen gegeben. Sie war klug, hatte trockenen Humor und viel Pragmatismus angesichts der Zwänge ihrer Welt.

Sie wandte sich instinktiv den Regalen zu, bereit jedes Einzelne zu erkunden und sich mit den Büchern anzufreunden. Jedes hatte seine eigene Geschichte, vereint mit der Geschichte der vielen Hände, durch die sie gegangen waren. Für einen Augenblick ergriff sie Wehmut angesichts des Ausmaßes an Wissen, dass sie niemals vollständig erfassen würde, gleichgültig, wie lange sie lebte.

Aber sie war auch einsam und misstrauisch. Ardis wusste nichts von ihrer angeborenen schwarzmagischen Gabe – nur, dass sie von einer Art Fluch verfolgt wurde. Ich wollte keinen klassisch bösen Charakter spielen, sondern offen lassen, in welche Richtung sie sich entwickelt. Daraus wurde eine der schönsten Geschichten, die ich je in Rollenspielen erlebt habe. Ardis lebte, liebte und litt intensiv, entwickelte sich auf ungeahnte Weise. Aber aus verschiedenen Gründen blieb ihre Geschichte unvollständig und ich habe mich über Jahre hinweg gefragt, wie es wohl weiter gegangen wäre.

Als ich meine Geschichten wiedergefunden habe, sah ich all die losen Fäden und musste einfach weiterschreiben. Die Leidenschaft hatte mich gepackt und ich schuf aus vielen losen Ideen eine Welt, um ihr (und anderen Figuren) einen Rahmen zu geben. Bald steckte ich bis über beide Ohren darin und wusste, dass es keine längere Geschichte war, sondern mindestens ein Buch, wenn nicht mehrere daraus werden würden.

„Kletterst du noch einmal mit mir, Ardis?“ Er hielt ihr seine Hände hin, als Stütze für ihren Fuß. Sie starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Dann lachte sie. Den rechten Fuß in die Räuberleiter zu stellen war einfach, dann griff sie nach den Seiten des Daches und zog sich nach oben. Ein wenig zerzaust kam sie oben an und verstand sofort, warum Eshra sie hierhergebracht hatte.

Sie ist mir beim Schreiben sehr nahe gekommen und ich hege eine schwer beschreibbare Zärtlichkeit für sie. Ich bewundere ihren Mut und ihre Stärke. Sie versucht in einer Gesellschaft voller Machtkämpfe integer zu handeln und weigert sich, zum Opfer zu werden. Zur klassischen Heldin eignet sie sich nicht und will auch keine sein. Sie ist zutiefst menschlich und kämpft oft genug mit ihren eigenen Dämonen. Zuerst eine Ausgestoßene, eine Streunerin, landet sie in der hedonistischen, oft brutalen Gemeinschaft der Magier. Aber sie bewahrt sich ihren Humor und ihre eigenen Ziele. Ihr Wunsch zu lernen treibt sie weiter und sie bewegt sich hartnäckig durch die gefährliche Hierarchie des Hochturms nach oben, um irgendwann unabhängig zu werden.

Wohin sie ihre Entscheidungen sie am Ende führen werden? Ich habe eine Ahnung, genieße aber, dass noch alle Möglichkeiten für meinen Lieblingscharakter offen bleiben.